Team trotzt Übungsleitervergänglichkeit

Fünf Minuten vor Spielende führt Mainz 05 2:0 in Hannover. Die öffentliche Demontage von Trainer Ewald Lienen scheint vor 35.000 Zuschauern und „Lienen raus“-Rufen ihr Finale zu erreichen. Wenn es beim Schlusspfiff nicht 2:2 gestanden und die Mannschaft ein klares Bekenntnis abgeliefert hätte

aus Hannover von Jörg Heynlein

Als Jürgen Klopp die letzten fünf Minuten des Spiels Revue passieren lässt, fällt ihm auf, dass es sich „zunächst beschissen“ anfühlt, statt drei sicher geglaubten Punkten nur noch einen mit nach Mainz zu nehmen.

Unterstützen statt spalten

Weniger drastisch aber doch energisch kommentiert der Gästecoach dann den Umgang mit seinem Kollegen Ewald Lienen im Umfeld und auf den Fankurven in Hannover. „Druck hilft nie und ist in dieser Form immer unsinnig“, erklärt Klopp die Hetzjagd und die „Lienen raus“-Rufe der eigenen Fans für absurd. „Solch einen Druck auf die eigene Mannschaft aufzubauen, hilft niemals. Es macht deutlich mehr Sinn, die Mannschaft zu unterstützen, als sie zu spalten“, gab Klopp den 96ern als guten Rat mit auf den Weg. Obwohl er selbst Bekanntschaft mit einem Druckausläufer schließen durfte, der in Hannover die sportliche Großwetterlage bestimmt. Einem übermotivierten Angestellten von Hannover 96 brannte beim Ausgleich von Tarnat in der 92. Minute die Sicherung durch. „Dieser Mensch baute sich vor Jürgen Klopp auf und beschimpfte ihn aufs Übelste“, schilderte Mainz-Manager Christian Heidel die Situation, die sich mit einer anschließenden Entschuldigung wieder entspannte. Dem derzeitigen Druck in Hannover scheint nicht jeder gewachsen zu sein. Da wirkten die Worte des Mainzer Trainers für seinen Kollegen erwärmend an diesem atmosphärisch unterkühlten Fußballtag.

Hochgekrempelte Ärmel

Die Presse hatte bereits einige Tage vorher das Schwert des Damokles über Lienens Trainerpolstermöbel an dünnem Rosshaar befestigt, um das Spiel gegen Mainz zu einer sportlichen Verteidigungsrede Lienens aufzubauen. Obwohl dieser meistens auf der Sessellehne sitzt. Zusätzlichen Sprengstoff lieferte Hannovers neuer „Außenminister“ Götz von Fromberg und verlangte noch am Donnerstag öffentlich „sportliche Erfolge, hochgekrempelte Ärmel“. Nach dem Spiel wollte er sich allerdings nur zurückhaltend äußern: „Karl-Heinz Vehling und Manager Kaenzig sind für Personalentscheidungen im sportlichen Bereich zuständig.“

Den Spielern merkte man nach der überraschenden Führung der Mainzer die bleierne Last an. Die Stimmung im Stadion kippte vollends um. „Durch die Pfiffe der Fans bekamen die Spieler dicke Beine und wirkten verkrampft“, analysierte der sichtlich emotionalisierte Lienen und fügte hinzu: „Unter diesen Umständen konnte es kein gutes Spiel werden, denn die Mannschaft musste ab jetzt um den Kopf des Trainers spielen.“ Er selbst sei an der Diskussion um seine Person im Laufe der Jahre gewachsen und habe damit gelernt zu leben. „Für die Mannschaft ist es schwerer, sie ist auf den Erfolg angewiesen.“

Gegensätzlicher als in Hannover und Mainz können Trainerjobs und Arbeitsumfeld nach außen hin kaum wirken. Denn scheinbar unbedroht wirkt Jürgen Klopp, der in sich ruhend zu Werke gehen kann. Mainz verbreitet den Charme eines gewachsenen Fußballvereins, ohne unprofessionell zu wirken. In Hannover nimmt die Last des neuen Stadions, die Vielzahl Verantwortlicher und hoch gesteckte Ziele dem Fußball eine Leichtigkeit, wie sie in Mainz vorgelebt wird.

In Klopps Umfeld werden keine Hieb- und Stichwaffen als Symbol präsidialer Übermacht befestigt, die ihm alltäglich seine eigene Übungsleitervergänglichkeit aufzeigen. Er ist das Gesicht von Mainz, der Muntermann, Muntermacher, Mutspender. Fans, Mainz und heimische Presse nippen trotz des miesen Tabellenplatzes stets an einem halb vollen Cocktail aus Enthusiasmus und Karnevalsstimmung. „Mainz bleibt stabil – In Mainz sitzt der Trainer fest im Sattel“, vermeldet die heimische Presse. Anders präsentiert sich das öffentliche Umfeld um Ewald Lienen in Hannover. „Der 96-Trainer kämpft verbissen um seine wohl letzte Chance“, verkündet die hannoversche Presse ultimativ vor dem Spiel. Die Öffentlichkeit nippt mürrisch an halb leeren Gläsern.

Struktur bremst

Das engmaschige Konstrukt der Gesellschaften rund um die eigentliche Lizenzspielerabteilung des Vereins lässt das Traineramt in Hannover wie eine sportliche Unterabteilung wirken. In Mainz hingegen ist die Hierarchie überschaubar, es regiert die Leichtigkeit des fußballerischen Seins. „Die Situation in Mainz wird einfach maßvoller beurteilt. Auch wir als Schreibende versuchen, für eine gute Stimmung zu sorgen. Wir halten es für angenehmer, Positives zu vermelden“, so ein Mainzer Journalist. Die Situation in Hannover scheint auch unter den Fans gespalten. Diese lieferten sich in Nord- und Westkurve einige Rangeleien. „Hoffentlich verlieren wir heute, dann ist Lienen raus“, meinte ein Befürworter eines raschen Trainerwechsels, dem die defensive Ausrichtung des hannoverschen Spiels schon länger die Lust nimmt.

Wer und was crasht wann?

Im Prall gefüllten Presseraum standen die sportlichen Leiter in einer Traube von Presseleuten, die natürlich wissen wollten, ob Lienen weiterhin Trainer ist. „Es gab und gibt kein Ultimatum. Wir sind aber vom Kurs abgekommen und nicht da, wo wir hin wollen und müssen“, sagte Geschäftsführer Karl-Heinz Vehling. „Lienen hat einen Vertrag bis 2007 und wird auch in Stuttgart und danach auf der Bank sitzen“, stellte sich Manager Kaenzig vor den Trainer, um dann wieder Druck aufzubauen. „Wenn wir nicht die richtige Antwort finden, warum wir solche Spiele wie gegen Mainz nicht gewinnen, dann endet das in einem Crash.“